Predigttext Markus 14, 3-9
3 Jesus war in Betanien bei Simon dem Aussätzigen zu Gast. Während der Mahlzeit kam eine Frau mit einem Alabastergefäß voll echtem, kostbarem Nardenöl. Sie zerbrach das Gefäß und goss Jesus das Öl über den Kopf.
4 Einige der Anwesenden waren empört. »Was soll das, dieses Öl so zu verschwenden?«, sagten sie zueinander.
5 »Man hätte es für mehr als dreihundert Denare verkaufen und das Geld den Armen geben können!« Und sie machten der Frau heftige Vorwürfe.
6 Aber Jesus sagte: »Lasst sie! Warum macht ihr es der Frau so schwer? Sie hat ein gutes Werk an mir getan.
7 Arme wird es immer bei euch geben, und ihr könnt ihnen Gutes tun, sooft ihr wollt. Mich aber habt ihr nicht mehr lange bei euch.
8 Sie hat getan, was sie konnte: Sie hat meinen Körper im Voraus für mein Begräbnis gesalbt.
9 Ich sage euch: Überall in der Welt, wo man das Evangelium verkünden wird, wird man sich auch an sie erinnern und von dem reden, was sie getan hat.«
Liebe Schwestern und Brüder!
Am Palmsonntag beginnt die Karwoche – und was wäre die Karwoche ohne diese Geschichte, die von dem kurzen, lichten Moment auf dem Leidensweg Jesu erzählt? Vertraut ist sie allen, die in der christlichen Tradition zu Hause sind. Aber diese Geschichte im Jahr 2020? Das passt doch gar nicht! Da treffen sich mehr als zwei wildfremde Leute in einem Privathaus zum Essen – und nix mit Abstand halten und Hände desinfizieren.
Aber diese Geschichte passt so gut wie lange nicht. Sie weckt die Sehnsucht nach Gemeinschaft, auf die wir zurzeit verzichten müssen. Und sie führt uns vor Augen, wie wir miteinander umgehen lernen können in schwerer Zeit. Wie in einem Spiegel können wir uns wiedererkennen und bedenken, was Jesus dazu sagt. Sicher, die Corona – Seuche kannten die Menschen damals nicht. Ihr Leben war bedroht von Armut, Unrecht und Willkür und vielen anderen Gefahren.
Da ist als erstes die Jüngergruppe. Sie steht für die, die den Ernst der Lage nicht wahrhaben wollen. War doch super, der Einzug in Jerusalem! So viele Leute, so eine Mega - Stimmung! Klar, der Jesus sagt immer wieder, dass das nicht gut ausgeht. Aber warten wir´s ab. So schlimm wird’s schon nicht werden!
Und dann platzt diese unbekannte Frau in das gemütliche Beisammensein der Jünger in einem Privathaus. Der Raum ist sowieso schon überfüllt. Sie sagt kein Wort, niemand weiß, wer sie ist, wo sie herkommt. Dreist wie Bolle kämpft sie sich durch, bis sie direkt vor Jesus zu stehen kommt, lässt sich nicht bremsen. Das geht so schnell, dass keiner der Jünger reagieren kann. Sprachlos sind sie über diese Person. Solche Leute gibt’s immer wieder. Hoppla, jetzt komm ich! So sieht es zumindest auf den ersten Blick aus.
Gott sei Dank, sie kommt in guter Absicht. Aber wo sie das Fläschchen mit dem sündhaft teuren Duftöl her hat, weiß auch keiner. Sie müsste eine Königstochter sein, wenn sie es sich leisten könnte. Ist sie aber nicht. Ach, die Leute reden gern – am liebsten über andere. Auch nichts neues. Die Frau zieht ihren Plan zügig weiter durch – und weil der Flaschenhals so eng ist, dass immer nur ein Tropfen rauskommen kann, bricht sie ihn kurzerhand ab. Sie schüttet gleich den ganzen Inhalt auf den Kopf Jesu, verteilt ihn würdevoll mit ihren Händen – ohne ein einziges Wort zu sprechen. So erfasst keiner der Männer, was das soll. Die sehen nur das leere Fläschchen, riechen das teure Öl und beginnen zu rechnen. Wie viele Arme hätte man mit dem Geld für dieses Duftöl wie lange satt bekommen? Und sie fordern energisch konkrete Schritte: „Gute Werke wollen wir sehen, keine sinnlosen Taten!“ Mindestens einer weiß es immer besser und es werden heute immer mehr – Dank der allgegenwärtigen elektronischen Endgeräte.
Beifälliges Murmeln in der Runde der Jünger, weil es noch keine likes gab und Blicke, die auf Jesus gerichtet sind. „Stimmt doch!?“ - die Frage steht förmlich im Raum und die Antwort meinen sie zu kennen, weil sie Jesus kennen... Aber wieder einmal liegen sie voll daneben. Wie konnten sie nur auf den Gedanken kommen, dass Jesus so berechnend sein könnte wie sie? Oder so oberflächlich? Sie schrecken auf, als er die Frau in Schutz nimmt, den Störenfried, die Verschwenderin. Mehr noch, er lobt ihr Handeln. „Sie hat ein gutes Werk an mir getan“, sagt er. Es gibt auch gute Werke, die sich überhaupt nicht rechnen. Und das will nur den allerwenigsten Menschen in den Kopf. Heute noch viel weniger als damals: Applaus bekommen die Pflegekräfte und Ärzte in der Krise von vielen Menschen. Das reicht nicht, sagen viele. Davon können sie sich nichts kaufen. Alles, was keinen Geldwert hat, ist nichts mehr wert in unserer Gesellschaft. Verstehen deshalb manche Pflegekräfte in der Hauptstadt die Applausaktion als Verhöhnung?
Die unbekannte Frau in unserer Geschichte öffnet uns die Augen: Sie versteht, erfühlt, was jetzt wirklich dran ist und tut es: Was einer braucht, der auf den schwersten Weg seines Lebens gestoßen wird, dem keine Wahl bleibt. Sollen die anderen doch reden, die nicht sehen, wie angestrengt und bedrückt Jesus mitten in ihrer fröhlichen Runde sitzt. Die Frau ahnt vielleicht, wohin das führen wird mit einem wie Jesus, wenn die Mächtigen erst einmal Ernst machen. Sie spürt, dass er eine Stärkung braucht, mehr noch, eine Würdigung, eine Auszeichnung, einen Liebeserweis, damit er durchstehen kann, was dann kommt. Das Beste ist gerade gut genug für ihn und dieser Moment kommt nie wieder. Ja, die Frau zieht ihren Plan durch, mit Verstand und Gefühl – aber ohne jede Berechnung, ganz und gar uneigennützig und ungeheuer einfühlsam.
Das bringt ihr Ärger ein und belehrende Kommentare, ganz klar. Jesus nimmt sie in Schutz – indem er seine Jünger auf den Boden der Tatsachen zurückholt. Die Aufgabe, den Armen zu helfen, wird es immer geben. Rechnet sie nicht auf gegen das, was mir die Frau Gutes getan hat. Sie hat mich gestärkt, mir die Ehre für meinen Weg in den Tod, so zu sagen die letzte Ehre erwiesen.
Und das ist genau so richtig und bedeutungsvoll wie die Sorge um die Armen. Jeder Mensch, der seinen letzten Weg geht, soll ihn in Würde gehen können und braucht Menschen, die ihn begleiten mit Verstand und Gefühl, egal, was die Leute reden. Und erst recht, wenn die Krise dazu führt, dass das An – sich - selber – Denken immer neue bedenkliche und unverständliche Auswüchse zeigt. Auch nichts neues: Denken wir an Petrus, der schon bald dreimal Jesus verleugnen wird, um die eigene Haut zu retten.
Das miteinander Reden ging damals zu Jesu Zeiten nur auf direktem Wege. Wir haben Gott sei Dank heute viel mehr Möglichkeiten, trotz der wichtigen Einschränkungen miteinander zu kommunizieren. So braucht niemand allein zu sein mit seiner persönlichen Situation, seinen Ängsten, Sorgen und Gedanken. Wir können unsere Hoffnung und unser Vertrauen auf ganz neuen Wegen teilen und sollten das auch nutzen. „Noch nie war es so wichtig, gemeinsam allein zu sein“, schrieb neulich ein kluger Mensch.
Neben dieser Gemeinschaft im Glauben, in der niemand allein sein muss, auch wenn er besser zu Hause bleibt, brauchen wir einen Ausblick über unseren Horizont hinaus. Denn der Horizont unserer Gedanken und Gefühle kann in jeder Krise so auch in den Zeiten von Corona schnell so eng werden wie der kleine, verordnete Lebenskreis. Einen solchen Ausblick gibt uns Jesus im Johannesevangelium in einer seiner Abschiedsreden an die Jünger. Dort sagt er: „Ihr habt nun Traurigkeit; aber ich will euch wiedersehen, und euer Herz soll sich freuen, und eure Freude soll niemand von euch nehmen.“ (Johannes 16,22)
In diesem weiten Horizont können wir unsere gegenwärtigen Erfahrungen im richtigen Licht sehen: Als Teil unseres Lebens, als Herausforderung, die wir gemeinsam bestehen können auf dem Weg in die Zukunft, die Gott allein gehört. In diesem Vertrauen war die unbekannte Frau mit dem teuren Duftöl unterwegs, in diesem Vertrauen ging Jesus den Weg ans Kreuz und besiegte den Tod.
Das ist die verwandelnde Kraft der Liebe.
Das ist das schöne Geheimnis von Tod und Auferstehung.
Diesem Geheimnis zu folgen möchte ich Sie zu jedem Tag der Karwoche einladen mit einer kleinen Andacht zum Kreuzweg Jesu.
Ich wünsche Ihnen alles Gute und eine besinnliche Karwoche Ihr J. Reichmann, Pfr.